
Mit der Frage, wie Reiten geht, meine ich nicht nur die Technik, dass man dem Pferd irgendwie sagen kann, wo man hin möchte.
Vielmehr fasziniert mich insgesamt, was unser Körper alles kann. Wie unser Gehirn Bewegung und Reaktionen steuert. Wie man zwei Meter über der Erde im Gleichgewicht bleibt und mit Spaß durch den Wald galoppiert- auch beim Sprung über einen Baumstamm .
Diese Frage ging mir zum ersten Mal bewusst durch den Kopf, als ich während meiner Physiotherapieausbildung in eine Reithalle kam. Die Voltikinder waren gerade beim Warmmachen.
Ich kam direkt aus in einem Kinderkrankenhaus, wo ich damals einen Teil meiner praktischen Ausbildung absolvierte. Neben den Babies auf den Normalstationen, die häufig Atemwegsinfekte hatten, waren vor allem die Kinder mit Bewegungsauffälligkeiten in unserem Fokus. Sie hatten leichte bis schwere Entwicklungsverzögerungen und auf einer Station gab es dort auch mehrfach behinderte Kindern aller Altersklassen.
Als ich damals nach mehreren Wochen in dieser Kinderklinik in die Reithalle kam und die Kinder rennen, Fangen spielen oder Handstand um die Wette machen sah, war ich kurzzeitig geschockt.
Was die alles konnten! Mit welcher Leichtigkeit sie sich am Holzpferd und auf dem galoppierenden Pferd bewegten. Das stand im krassen Gegensatz zu dem, was ich jeden Tag in der Klinik sah und fühlte, wenn ich mit den Kindern arbeitete.
Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, dass das die Normalität war.
Kinder rennen und bewegen sich anstatt im Rollstuhl zur Therapie zu kommen.
Solche Momente hatte ich in den folgenden Jahren immer wieder. Da ich häufig mit neurologischen Patienten arbeitete, wurde mir bewusst, was alles geht, ohne dass wir nachdenken müssen.
Zum Beispiel ist der einfache Vorgang Kaffee in einer Kaffeemaschinekochen komplexer als es aussieht. Die Schritte bauen so aufeinander auf, dass Menschen mit einer Verarbeitungsstörung nicht wissen, dass das Kaffeepulver in eine Filtertüte gehört und die in einen dafür vorgesehenen Behälter. Wenn man Wasser in die Kanne kippt und Kaffeepulver in den Wassertank, gibt es als Belohnung keinen aromatischen Geruch, der begleitet vom Geblubber des Wassers durch den Raum zieht.
Aus diesem Grunde müsste man sich und seinen Körper eigentlich jeden Tag lobpreisen. Denn wenn alles gut funktioniert können wir auf ein Wunderwerk an Funktionen zurückgreifen. Das Meiste davon läuft ganz unbewusst ab. Leider wird einem das meist erst bewusst, wenn etwas ausgefallen oder verletzt ist. Dann klappen eingespielte Bewegungsabläufe nicht mehr. Beispielsweise wird einem die Leistungsfähigkeit unserer körpereigenen Reizweiterleitung erst schmerzlich bewusst, wenn man einen eingewachsenen Zehennagel hat und fühlt, wie häufig man sich stößt.
Unter diesem Aspekt ist es für mich auch ein Wunder, wie Reiten geht.
Vor allem, dass sich zwei so hoch komplexe Lebewesen auf einen gemeinsamen Rhythmus einigen können. Dabei gelingt es einem geübten Reiter meist schnell, dabei eine gute Figur zu machen. Besser gesagt kann er seinen Körper den Bewegungen des Pferdes so anpassen, dass der gemeinsame Ritt schön aussieht.
Das ist der Idealfall, den wir alle anstreben. Und wie leicht man dahin kommen kann, ist mir gestern bei einem Trainingstag mit sechs langjährige Reiterinnen und Ihren Pferden aufgefallen. Drei davon arbeiten selber als Reitlehrerin und können auf eine breite Erfahrung zurückgreifen.
Nach einer kurzen theoretischen und längeren praktischen Einführung zum Thema “Einfach besser Reiten mit Balance” ging es dann nachmittags aufs Pferd. Ich hatte ein paar Geräte aus meiner Neuro-Rider Ausbildung mitgebracht und brannte darauf, sie auszuprobieren.

Zuerst beobachtete ich die Damen auf ihren Pferden, ließ sie absteigen und ein bis zwei Übungen für den Körperteil machen, den ich als Ursache für das Sitzthema ausgemacht hatte.
Zu unser aller Begeisterung funktionierte das bei allen Paaren. Den richtigen Körperteil mobilisieren oder stabilisieren ist das Geheimnis, wie Reiten geht. Das ist die Voraussetzung für einen lockeren, ausbalancierten Sitz. Wenn wir die richtige Stelle gefunden hatten, zog ein Strahlen über das Gewicht: “Das fühlt sich jetzt so locker an” hörte ich gestern mehrfach. Auch die Pferde kommentierten den veränderten Sitz sofort mit Abschnauben und fleißigerem Vorwärtsgehen.
Das ist die Basis, um zusammen zu einem harmonischen Miteinander zu kommen.
Weil das so gut geklappt hat, treffen wir uns in Zukunft nun regelmäßig. Dann kann ich das Wissen aus dem Neuro-Rider® vertiefen und mein Auge schulen. Im Gegenzug erfahren die Schüler, wie man mit wenigen Stellschrauben den Sitz verbessern kann. Im Idealfall sind dann alle Beteiligten zufrieden.
So macht Arbeiten Spaß.
An solchen Tagen wie gestern wird mir klar, wie sehr ich meinen Job liebe. Aber auch, wie viel Erfahrung ich im Laufe meiner Physiotherapiezeit gesammelt habe. Wegen der Physiotherapie habe ich ehrlich gesagt die Neuro-Rider®-Ausbildung begonnen.
Der Weg und die Techniken sind mir zum großen Teil aus meiner therapeutischen Arbeit bekannt. Aber mit wenigen Ansatzpunkten große Erfolge zu erzielen, dass kenne ich bisher nur aus der Kinesiologie.
Auch meine Patienten profitieren von den Modulen. Seit Monaten probiere ich alle Übungen mit Ihnen zusammen aus. Auch dort mit durchschlagenem Erfolg, weil sie im Anschluss besser und sicherer laufen können. Dabei erfahre ich, wo welche Techniken wirken. Am Ende gibt es oft wieder ein Staunen darüber, was unser Körper kann und wie das unser Gehirn möglich macht.
Deshalb war mein Oktober so abwechslungsreich wie momentan die Blätter an den Bäumen.

Begonnen hat er mit einem tollen Tag der Cleveren Reiter. Natürlich ging es auch dort um das Thema “Reiten mit Köpfchen”. Wissbegierige Teilnehmer, Vorträge, die gut zueinander passten und leckeres Essen in den Pausen sorgten für eine gute Stimmung.
Es kam zu einem wunderbaren Austausch und vielen AHA- Momenten. Da mich das Thema so fasziniert und es wichtig ist, um zu einem guten Miteinander mit dem Pferd zu finden, wird das Thema im nächsten Jahr “Reiten mit Herz und Hirn” heißen.
Auch auf die Gefahr hin, dass ich Euch jetzt langweile: ich habe im Zuge dieser Vorbereitungen zwei neue Kurse entwickelt. Denn je mehr man die Zusammenhänge versteht, desto besser kann man an den wesentlichen Schaltstellen ansetzen. Deshalb wird es am 05.02.2022 den Kurs “Die tollen Vier: Balance bewegen, Atmen und Sehen” geben. Alle diese vier Fähigkeiten beeinflussen sich gegenseitig.
Genauso ist unser Sehen dafür verantwortlich, wie stabil oder instabil der Körper auf Anforderungen reagieren kann. Deshalb gibt es dann am 19.02.2022 den Kurs “Stabilität und Sehen”. Wenn Du Lust hast, mehr zu erfahren, klicke auf de blauen Link.
Erstmal geht es weiter wir geplant: Kommenden Samstag läuft der altbewährte Kurs “Spiraldynamik® für Reiter”, vor allem an der Core-Stabilität des Oberkörpers ansetzt.
Am 20.11.21 geht es um “Einfach besser Reiten trotz Angst”. Auch beim Angstgeschehen ist die Hauptfrage, wie unser Gehirn eine Situationen einschätzt. Je besser wir Herr unserer Sinne und Fähigkeiten sind, desto größer ist die Chance, dass wir bewusst auf eine Herausforderung reagieren können anstatt in einen verspannten Schreckmodus zu verfallen. Neben den Hintergründen zu unserem Angsterleben wird es viele praktische Ansätze geben, mit denen Ihr Eure Verspannung in den Griff bekommt.
Vielleicht habt Ihr ja Lust bekommen, zu überlegen, wie Reiten wirklich geht. Und mit dem entsprechenden Input zu fühlen, wie es bei Euch so läuft. Das würde mich freuen!
Genießt vor allem erstmal die Zeit und die tolle Stimmung des bunten Herbstwaldes!
Corinna von ReitClever